5. Bildnisse im Christentum

Einführung

In den ersten Jahrhunderten übernimmt das Christentum vom Judentum die strikte Ablehnung jeglicher Bilderverehrung und versucht sich somit vom griechisch-römischen Kult abzuheben. Ab dem dritten und vierten Jahrhundert vermehren sich die Bildnisse allerdings und deren Verwendung ruft einige Kontroversen hervor.
Ende des sechsten Jahrhunderts unterstützt Papst Gregor I (Pontifikat 590 – 604) deren Verwendung als „Buch für die Analphabeten“. Diese Formulierung sollte in all ihrer Subtilität gesehen werden, da sich die oftmals komplexe Ikonographie eher auf die Veranschaulichung der Inhalte aus Predigten konzentriert, an die sich der Gläubige erinnert, als auf die allgemeine Lehre. Nach dem Zweiten Konzil von Nicäa (787) schlägt die westliche Kirche einen Mittelweg ein und spricht sich sowohl gegen den Ikonoklasmus als auch gegen die von den Orthodoxen praktizierte Bilderverehrung aus. Nach dem Konzil von Trient (1563) wurden Bildnisse als Reaktion auf die protestantische Reformation wieder legitim und damit auch die Möglichkeit, durch sie die Heiligen zu repräsentieren und in Gotteshäusern anzubeten.
Objekte der Unterwerfung, des Dekors, der stillen Predigt… die Formen und Funktionen der bildenden Künste wandelten sich im Verlauf der Epochen, oftmals die Inspiration durch biblische Erzählungen und christliche Legenden suchend. Im 20. Jahrhundert findet die religiöse Kunst immer noch in der ästhetischen Moderne, auch in den abstrakten Kunstformen ihren Platz, und auch die Christusfigur ist aus der zeitgenössischen Kunst noch lange nicht verschwunden.
[image0]

1.a Christus als der gute Hirte

Diese Statue aus dem späten Römischen Reich kann als christliche Interpretation einer deutlich älteren Figur gesehen werden. Ein junger, knabenhafter Schäfer mit lockigem Haar, gekleidet in einer kurzen Tunika, trägt auf seinen Schultern ein Lamm, dessen Fell und gehobener Kopf fein gemeißelt sind. Das Motiv des Hirtenkönigs, in der Literatur des Nahen Ostens ein traditionsreiches, wird in der Bibel oft wiederaufgegriffen, um das Verhältnis des Herrn zu seinem Volk darzustellen. In der Ikonographie der Antike symbolisiert der gute Hirte Nächstenliebe oder verweist auf den Hirtenmusicus Orpheus, der einst aus der Unterwelt zurückkehrte. Das Motiv des Schäfers, der einen Bock auf den Schultern trägt, wird als Anspielung auf Hermes und dessen Rolle als Überlieferer der Seelen verwendet. Die frühe christliche Kunst übernimmt dieses heidnische Motiv für die Illustration Christi als Pastor und Erlöser; eine solche Ikonographie findet sich auf den Wänden von Katakomben oder auf Särgen. In den Evangelien repräsentiert die messianische Figur des guten Hirten Jesus Christus, der sich nicht nur auf die Suche nach dem verlorenen Tier begibt (Mt 18, 12) und es auf seinen Schultern zurückträgt (Lk 15, 3-7), sondern sogar sein Leben für das seiner Herde gibt (Joh 10, 15). .

Frühchristliche Skulptur. Vatikanmuseum (Rom).
Wikimedia Commons. Verwendbar unter den Bedingungen der
GNU Free Documentation License
Public domain Abrufbar unter: http://commons.wikimedia.org/wiki/..
(08/12/2014)

[image1]

1.b Die Kreuzigung

Während der frühen Jahrhunderte gibt es nur wenige bildliche Darstellungen der Kreuzigung. In der romanischen Zeit taucht Christus als Sieger über den Tod in all seinem Glanz auf dem Kreuz auf. Dieses Symbol der grauenhaften Folter ist für die Christen allerdings auch ein Symbol der Erlösung. Ab dem elften und zwölften Jahrhundert dominiert das Motiv des Opfertods und Christus wird als leidender Mann dargestellt, wie auf diesem goldgewaschenen Teil einer tragbaren Altartafel eines unbekannten Malers aus Florenz. Der Körper Christi, der nur mit einem dünnen Perizoma (Leinenschurz) bekleidet ist, scheint gerade am Holz des Kreuzes zu kollabieren, sein Kopf fällt zur Seite, seine geschlossenen Augen und die blutende Wunde lassen auf sein Ableben schließen. Symmetrisch an den beiden Seiten des Kreuzes angeordnet und von den heiligen Frauen und Soldaten flankiert, finden sich die Jungfrau Maria und der geliebte Jünger Johannes, beide drücken Trauer und Resignation aus. Der Kontrast der kräftigen Farben und die Art und Weise, wie die Kleidung die Figuren fein säuberlich bedeckt, geben dem Werk einen expressionistischen Charakter. Im Hintergrund könnte der Soldat mit der Aureole der Zenturio Longinus sein, der zuvor eine Lanze in die Seite Jesu gerammt hatte und rief: „Dieser Mann war wahrhaftig der Sohn Gottes!“ (Mk 15, 39). Das erlösende Blut tropft am Kreuz entlang auf einen Schädel, der uns an den Tod Adams erinnern soll. Die Kreuzigung auf Golgatha („Ort der Schädel“) macht Christus zu einem zweiten Adam, der die Menschheit errettet.

Meister des Georg-Kodex (aktiv in Florenz, ca. 1315–35). Gemalt ca. 1330 – 35.
Metropolitan Museum of Art (New York City, NY).
Lizensiert nach OASC: http://www.metmuseum.org/research/image-resources
Abrufbar unter: http://www.metmuseum.org/toah/works-of-art/61.200.1 (08/12/2014)

[image2]

1.c Christus in Hoheit

Das Tympanon des Zentraltors an der Westseite der Kathedrale von Chartres wurde in den 1150ern gebaut und liegt zeitlich vor der Erneuerung des Gebäudes im 13. Jahrhundert. Es zeigt Christus majestätisch in einer Mandorla (symbolisiert die die ganze Person umgebene Aura), auf einem Thron sitzend und flankiert von den Zeichen der vier Evangelisten. Diese Darstellung der Herrlichkeit Christi findet sich auf den Tympana diverser Kathedralen; in einem tiefen Relief begrüßt sie die Gläubigen mit einer Bekundung des Glaubens: Christus, der Erlöser, ist der Herrscher des Universums. Auf beiden Seiten werden die Evangelisten durch eine Anspielung auf die vier lebendigen Wesen aus Ezechiels Vision (Hes 1, 1-14) symbolisiert: Ein Mann, ein Löwe und ein Bulle, alle drei beflügelt, sowie ein Adler. Innerhalb der patristischen Epoche variierte die Zuordnung der Wesen zu den Evangelisten. Ein Interpretationsansatz setzte sich schließlich durch. Nach diesem steht Matthäus, der sein Evangelium mit einer Ahnentafel eröffnet, in Verbindung mit dem Mann; Markus, der über das Predigen in der Wildnis schreibt, ist der Löwe; der Bulle steht für Lukas, der mit dem Opferungsmotiv beginnt; Johannes, der die höchsten Instanzen der himmlischen Gefilde beschreibt, wird schließlich vom Adler dargestellt. Nach einigen Theologen können die Bilder auch als Symbol für Christus stehen: Mann durch seine Geburt, Bulle durch seine blutige Opferung, Löwe durch seine Auferstehung, Adler durch seine Himmelfahrt.


Kathedrale von Chartres. Tympanon des Zentraltores der Königlichen Tore (12. Jh.).
Wikimedia Commons. Verwendbar unter den Bedingungen der
GNU Free Documentation License
lizenzfrei Abrufbar unter:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chartres_Portail_central_Tympan_270309_1.jpg (08/12/2014)

[image3]

2.a Madonna und Kind

Die Gottesmutter, Theotokos, so der ihr vom Konzil von Ephesus (431) gegebene Name, wird vor einem goldenen Hintergrund dargestellt, welcher den Glanz des Himmelreichs zeigen soll. Kopf und Schultern sind von einem Maphorion (Schleier) mit einem roten Zierband bedeckt. Die drei goldenen Sterne, einer auf der Stirn und jeweils einer auf den Schultern (hier ist nur einer davon sichtbar) erinnern uns an ihre Jungfräulichkeit vor, während und nach der Geburt des Erlösers, ihres Sohnes. Mit ihrer Rechten zeigt sie auf das Jesuskind und weist damit den zu folgenden Weg. Letzteres, mit einer Schriftrolle in der einen Hand und die andere zu einer Geste des römischen Segens (Zeige- und Mittelfinger eng zusammen, die anderen Finger eingezogen) geformt, trägt beinahe die Ausdruckskraft eines Gelehrten. Diese Darstellung eines italienischen Künstlers aus dem frühen 13. Jahrhundert befolgt sehr genau die Regeln, denen einst die byzantinischen Ikonen unterlagen und die sich nach dem Fall Konstantinopels (1204) in Italien verbreiteten. Die Hodegetria (Wegweiserin) ist einer der verbreitetsten Madonnentypen, neben der mitleidenden Jungfrau, der betenden Jungfrau und der thronenden Madonna, von der viele Abwandlungen existieren. Feine Nuancen in den Falten der Kleider und der Streckung der Hände zeugen vom perfektionistischen Anspruch des Stils von Berlinghiero.

Berlinghiero (aktiv um 1228 – gestorben um 1236). Metropolitan Museum of Art (New York City, NY). Lizensiert nach OASC: http://www.metmuseum.org/research/image-resources
Abrufbar unter: http://www.metmuseum.org/toah/works-of-art/60.173 (08/12/2014)

[image4]

2.b Jungfrau und Kind

Murillo als Hauptvertreter der Schule von Sevilla ist, zusammen mit Zurbarán und Velasquez einer der Meister der spanischen Barockkunst. Seine Werke lassen sich der christlichen Kunst und der Genremalerei zuordnen. Das Bild der Jungfrau mit Kind nimmt hierbei eine Zwischenstellung ein. Die Charaktere, die mit einem der familiären Intimität entsprechenden Realismus dargestellt sind, heben sich vom dunklen Hintergrund hervor und sind umgeben von einem hellen Glorienschein, der in diesem Fall den Strahlenkranz oder jegliches andere explizit religiöse Symbol vertritt. Ein blaues Stück Stoff erinnert an die Farbe, die eigentlich mit der Königin des Himmels in Verbindung gebracht wird, welche hier im Rot der Leidenschaft gekleidet ist. Die Mutter wirft einen liebevollen Blick auf ihr pausbäckiges und verspieltes Kind, welches sie den Gläubigen zu präsentieren scheint, während das Kind selbst das Publikum bestaunt, als hätte es dieses gerade erst entdeckt. Die Madonnen Murillos waren sehr beliebt und wurden seitdem immer wieder in frommen Bildern verwendet.

Bartolomé Estebán Murillo (geboren 1617 in Sevilla – gestorben 1682 ebenda). Metropolitan Museum of Art (New York City, NY). Lizensiert nach OASC: http://www.metmuseum.org/research/image-resources
Abrufbar unter: http://www.metmuseum.org/collection/the-collection-online/search/437175 (08/12/2014)

[image5]

3.a Die Beweinung

Scipione Pulzone, zu Lebzeiten ein Freund der Jesuiten, malte diese Altartafel für eine Kapelle der Kirche von Gesù in Rom, die Kapelle der Passion Christi. Die Abnahme Christi vom Kreuz und seine Grablegung stellen ebenso wie die Darstellung der Beweinung des toten Christus, das sich in der Abfolge der Ereignisse dazwischen verortet, drei zentrale Motive seiner Leidensgeschichte dar. Diese Komposition stellt Jesu Leiche in den Vordergrund, auf dem Schoße seiner Mutter liegend und von Joseph von Arimathea gehalten, während Johannes die Dornenkrone hält. Die tödliche Blässe des Leichnams, der schwach aber nur von wenigen Tropfen Blut an den Wunden gezeichnet ist, stellt einen Kontrast mit den grellen blauen und roten Kleidern der Figuren um ihn herum dar. Vor seinem Begräbnis gibt Jesus somit den Gläubigen einen Grund, innezuhalten und die Gefühle der heiligen Frauen oder der Magdalena zu teilen, welche mit ihrem langen goldenen Haar zu den Füßen ihres Herrn sitzt und vollkommen in ihrer Trauer versunken ist. Im Hintergrund zeigen sich bereits die ersten Strahlen des Sonnenaufgangs und nähren die Hoffnung der Wiederauferstehung.

Die Beweinung Christi (1593). Scipione Pulzone (Il Gaetano) (Gaeta, aktiv um 1569 – gestorben 1598 in Rom).
Metropolitan Museum of Art (New York City, NY).
Lizensiert nach OASC: http://www.metmuseum.org/research/image-resources
Abrufbar unter: http://www.metmuseum.org/toah/works-of-art/1984.74 (08/12/2014).

[image6]

3.b Isaak segnet Jakob

Diese Szene aus dem Buch Genesis (Gen 27, 20-29) zeigt den Moment als der Patriarch Isaac, mittlerweile fast erblindet, Jakob segnet, welcher sich, mit seiner Mutter als Komplizin und einem Fellhandschuh über seiner eigenen Hand, als sein älterer Bruder ausgibt. Rebekkas beeindruckende Figur am rechten Bildrand scheint förmlich ihren Segen für Jakobs List zu geben. Auf einem Tisch im rechten Vordergrund bilden die Reste eines Mahls ein Stillleben, welches auf die junge Ziege anspielt, welche Isaak anstelle des Rehs aß, das Esau ihm hätte bringen sollen. Im Hintergrund, auf der linken Seite des Gemäldes, kann man bereits die Rückkehr des Mannes erahnen, der sein Erstgeborenenrecht für einen Teller Linsen verkauft hatte. Gerbrand van den Eeckhout, ein ehemaliger Schüler Rembrandts, stellt diesen Schlüsselmoment im Leben von Jakob anachronistisch dar (vgl. die Umgebung und die Kleidung). Diese, von seinem Lehrmeister beeinflusste Darstellung biblischer Themen in der privaten Kunst entsprach dem damaligen Zeitgeschmack..

Isaak segnet Jakob (1642). Gerbrand van den Eeckhout (geboren 1621 in Amsterdam 1621 – gestorben 1674 ebenda).
Metropolitan Museum of Art (New York City, NY).
Lizensiert nach OASC: http://www.metmuseum.org/research/image-resources Abrufbar unter: http://www.metmuseum.org/toah/works-of-art/25.110.16 (08/12/2014)