2. Kritische Religionsphilosophie

Einführung

Kritische Religionsphilosophie

Die Religionswissenschaft steht der Religion insofern kritisch gegenüber, als sie Überlegungen und Untersuchungen zu religiösen Vorstellungen und Praktiken vom historischen, kulturellen, psychologischen und biologischen Standpunkt aus anstellt und dabei kritische, wissenschaftliche Methoden benutzt. Diese Methodik impliziert jedoch nicht notwendigerweise, dass aus einer kritischen Sichtweise auf die Religionen eine negative Einstellung resultiert. Ganz im Gegenteil, viele Wissenschaftler stellen sich ganz klar gegen eine anti-religiöse Herangehensweise; stattdessen bemühen sie sich (wie bereits erwähnt) um Neutralität. Demgemäß liegt das Ziel einer kritischen Religionswissenschaft nicht darin, sich mit den normativen Fragen zu befassen, wie etwa der Frage, ob eine religiöse Vorstellung wahr oder falsch ist, oder ob eine religiöse Praktik abgeschafft werden sollte oder nicht.
Im Gegensatz dazu besteht innerhalb der Religionsphilosophie eine lange Tradition ausdrücklich anti-religiöser Religionskritik sowie Kritik an religiösen Weltanschauungen und religiösen Wertvorstellungen. Traditionell lag der Fokus der Religionsphilosophie auf dem Christentum, aber in vielen Fällen wäre es möglich, ihn auch auf andere religiöse Systeme auszudehnen. Eine bekannte Form der Religionskritik basiert auf reduktionistischen Theorien, die dadurch charakterisiert sind, dass sie Religion durch etwas anderes erklären. Teils wird hier auf psychologische Gründe, teils auf die soziale oder biologische Entwicklung des Menschen verwiesen. Reduktionistische Theorien liefern verschiedene Erklärungen dafür, warum Menschen eine Religion haben. Einigen Philosophen zufolge lag das Ziel reduktionistischer Theorie oftmals darin, eine negative Sichtweise auf Religion zu vermitteln. Im Hinblick auf andere Denker (wie es etwa bei Hume der Fall ist) wurde das kritische und anti-religiöse Potential erst von späteren Theoretikern wirklich aufgedeckt.

Kritische Denker zum Thema Religion

  David Hume Ludwig Feuerbach Karl Marx Friedrich Nietzsche Richard Dawkins
Lebensdaten 1711-76 1804-72 1818-83 1844-1900 1941-
Form des Reduktionismus Psychologisch Psychologisch-anthropolog-isch Sozialwirt-schaftlich Ideologisch-ideengesch-ichtlich Kognitivis-tisch-ideologisch
Einstellung der Religion gegenüber Augenscheinlich neutral Positiv Negativ Negativ Negativ
Kernkritik Religion ist das Resultat menschlicher Unwissenheit und Furcht, und kommt einem Versuch gleich, das Unbekannte zu kontrollieren. Religion entsteht, wenn der Mensch seine eigenen Ideale so projiziert, als ob sie unabhängig von ihm existierende Konzepte wären. Religion ist das Opium des Volkes. Sie ist als solche ein Mittel der Unterdrückung, verschleiert aber auch die allgemeine Unterdrückung innerhalb der Gesellschaft. Religion ist eine Illusion. Schwache Menschen benutzen sie, um die starken Menschen zu bezwingen, und um sich mit der chaotischen Realität zu arrangieren. Nietzsche strebte danach, den „Tod Gottes“ aufzudecken, um der Illusion ein Ende zu setzen. Religion ist ein Virus, der von den biologisch basierten, kognitiven Fähigkeiten der Menschen schmarotzt.

Reduktionistische Erklärung

Der Reduktionismus ist ein Grundbestandteil jeder Wissenschaft: Erklärungen fokussieren sich auf die Kernelemente, anstatt eine Eins-zu-eins-Beschreibung zu liefern (wie es etwa ein (Land-)Karte leisten muss). Es existieren viele Formen reduktionistischer, religionswissenschaftlicher Theorien. Eine Religionstheorie ist dann reduktionistisch, wenn sie ihre Erklärung auf etwas anderem als der Religion selbst begründet (beispielsweise soziale Theorien oder Evolutionstheorie).

Reduktionismus und Sichtweise auf die Religionen

Reduktionistische Theorien stehen der Religion oftmals (aber nicht immer) negativ gegenüber, da sie den religiösen Aspekt überflüssig machen. Wie etwa dann, wenn Freud (1856-1939) sagt, Gott sei lediglich eine projizierte Vaterfigur. Es gibt andererseits aber auch reduktionistische Theorien, die eine positive Einstellung der Religion gegenüber haben: Einige Theoretiker sind der Meinung, dass das Bekenntnis zu einer bestimmten Religion als Resultat rationaler Überlegungen anzusehen ist: Menschen entscheiden sich für eine religiöse Zugehörigkeit in Abhängigkeit davon, was die jeweilige Religion zu bieten hat (bezüglich ewigen Lebens oder der Möglichkeit, dem Kreislauf der Wiedergeburt zu entkommen).

Bei dem Text handelt es sich um eine Neufassung, die auf der Einleitung einer englischsprachigen, vorläufigen Fassung von Horisont beruht, einem Lehrbuch für den Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe in Dänemark. Das Buch wurde von den Lehrbeauftragten Annika Hvithamar und Tim Jensen sowie von den Gymnasiallehrern Allan Ahle und Lene Niebuhr herausgegeben und ist 2013 im Gyldendal Verlag in Kopenhagen erschienen. Die ursprüngliche Einleitung wurde von Annika Hvithamar und Tim Jensen verfasst und beruht auf dem Beitrag von C. Shaffalitzky de Muckadell.