2. Religionen und städtischer Raum im Kontext europäischer Städte, die durch extreme Vielfalt geprägt sind

Quelle 1

Das Nebeneinander unterschiedlicher Religionen im Stadtviertel San Salvario in Turin, Italien (Synagoge, Moschee, Waldenser-Kirche, Evangelikaler Tempel, Katholische Kirchen)

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Turin ist eine Stadt im Norden Italiens, die angesichts ihrer politischen und sozialen Maßnahmen oft als eine Art innovatives Versuchslabor angesehen wird, insbesondere soweit es Migranten anbelangt (seit den 50er-60er-Jahren, als Migranten aus dem Süden Italiens nach Norden zogen). Das Viertel San Salvario in Turin, bei dem es sich um einen zentralen, gentrifizierten und extrem vielfältigen Stadtteil handelt, hebt die Entwicklung der öffentlichen und sozialen Rolle religiöser Gebäude in einem multikulturellen Kontext hervor, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann. Das Bild (Campobenedetto/Giorda 2014) zeigt das Nebeneinander verschiedener religiöser Plätze in besagtem Stadtviertel (Synagoge, Moschee, Waldenser-Kirche (= protestantisch), evangelikaler Tempel, Katholische Kirchen). Das System besteht aus konfessionellen Blöcken, die Pole mit einer über die lokale Gemeinschaft hinausgehenden Dimension darstellen, sowie aus Gemeindekirchen mit einer lokalen Dimension und einer wichtigen Rolle in der Morphologie der Hierarchie des städtischen Raums. Außerdem gibt es auch eine Moschee, die gut in die Sozialstruktur der muslimischen Gemeinschaft integriert ist und eine Bedeutung hat, die über die lokale Dimension hinausgeht, auch wenn sie nicht dem öffentlichen Raum angehört.
Das Ergebnis dieser Zusammensetzung ist eine Ansammlung heiliger Orte, die in diesem Viertel einen Dialog im urbanen Raum herstellen – dies geschieht durch die historisierte Ansammlung von Symbolen in der architektonischen Form oder aber durch die Position der Bauten innerhalb der städtischen Raumordnung.

Quelle 2

“Ja zum Minarettverbot" – Kampagnenposter zum Referendum vor der Abstimmung 2009 in der Schweiz

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In der gesamten westlichen Welt sind Moscheen und Pläne zum Bau von Moscheen Auslöser hitziger Debatten, insbesondere auf lokaler und kommunaler Ebene. In vielen Städten haben sowohl Gegner als auch Befürworter muslimischer Bauprojekte erkannt, dass diese Streitfrage Wähler weit mehr beschäftigt als Bibliotheken oder das städtische Abwassersystem.
Am 29. November 2009 stimmte eine klare Mehrheit der schweizerischen Bevölkerung (57,5%) mit ‚Ja‘ für ein Referendum (offiziell “eidgenössische Volksinitiative“), das ein vollständiges Bauverbot für neue Minarette in der Schweiz vorschlug. Diese Entscheidung hat seitdem auf breiter Front Kritik nach sich gezogen – zahlreiche Politiker, Menschenrechtsorganisationen wie auch internationale Organisationen (insbesondere auch die UN und der Europarat) haben die Initiative offen kritisiert und sich gegen eine Durchführung ausgesprochen. Die Schweiz ist bislang das einzige Land Europas, das Minarette kraft Gesetz verboten hat. Und doch erscheint diese Entscheidung nicht mehr so außergewöhnlich und bemerkenswert, wenn man sie im Vergleich zu anderen Reaktionen betrachtet, die europäische Länder in jüngerer Zeit ihren muslimischen Bevölkerungsanteilen gegenüber gezeigt haben. In der Tat sind wir der Ansicht, dass die Vorgehensweise der Schweiz grundlegende Missstände im Umgang mit dem ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerung erkennen lässt, der kennzeichnend für viele Länder Europas und auch anderswo ist.

Photography by Jenny Holzer – Zurich, 16 November 2009
Licensed under CC2.0
https://www.flickr.com/photos/rytc/4127391831/

Quelle 3a

Das „House of One“-Projekt in Berlin: Eine Kirche, Synagoge und Moschee in ein und demselben Gebäude

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Das Projekt “House of One” wird am Petriplatz in Berlin, Deutschland, in den kommenden Jahren umgesetzt werden. Das Ziel besteht darin, einen Ort der Verehrung und inneren Einkehr für Anhänger der drei großen, monotheistischen Glaubensrichtungen anzubieten, wobei das Gebäude dennoch allen offen stehen soll. Es wird eine Kirche, eine Synagoge und eine Moschee unter einem Dach versammeln, aber es wird auch einen großangelegten, zentralen Bereich geben, in dem die Anhänger der drei Glaubensrichtungen und auch andere Menschen zusammenkommen und sich austauschen können. Die Idee zu diesem Projekt entstand 2009, als Archäologen Überbleibsel der ersten Berliner Kirche, der Petrikirche ausgruben. Gregor Hohberg, ein evangelischer Pastor, rief das Projekt eines multikulturellen, multireligiösen Sakralbaus an genau diesem Ort ins Leben.

© KuehnMalvezzi
press materials from the
http://house-of-one.org/en/news-media/downloads/5
(24/07/2015)

Quelle 3b

Die multireligiöse Kapelle am Flughafen Gatwick

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Retrieved from Gatwick airport chaplaincy website
http://gatwickairportchapel.org/t-welcome.htm
(24/07/2015)

Dieses Bild zeigt einen kürzlich erbauten, multireligiösen Gebetsraum am Flughafen Gatwick in der Nähe von London. Die ersten Gebetsräume an Flughäfen hatten diesen interreligiösen Charakter noch nicht – sie waren bisweilen mehrkonfessionell, aber ausschließlich christlich. Angesichts höherer internationaler Mobilität und zunehmender Migration wurden einige von ihnen entweder an die neue Situation angepasst und Anhängern aller Glaubensrichtungen geöffnet, oder aber es wurden neue Gebetsräume in neuen Flughäfen geschaffen. Oft werden sie „Raum der Stille“ oder „Raum der Stille und des Gebets“ wie etwa am Münchner Flughafen genannt.
Flughäfen und Krankenhäuser sind besondere Orte, wenn es um das Eröffnen von multireligiösen Gotteshäusern geht. Häufig sind wirtschaftliche Gründe für ihren Bau ausschlaggebend. Senkungen der Bau- und Unterhaltskosten spielen eine Rolle, aber es werden auch moralische Gründe angeführt: Diese Orte sind Orte der Begegnung zwischen den Menschen (von Reisenden oder Patienten), die aus verschiedenen Kulturen kommen und einen unterschiedlichen kulturellen/religiösen Hintergrund haben.