9. Das Bild im Islam

Einführung
Mit der Bezeichnung „islamische“ Kunst definierte der europäische Westen eine Kunstform, welche die gesamte künstlerische Tätigkeit islamischer Länder umfasst. Die Kunstform, die einer anderen Ästhetik als die der westlichen Kunst folgt, und die sich durch geometrische Formen, arabische und kalligraphische Darstellungen auszeichnet. Außerdem werden Figuren nur äußerst selten dargestellt. Insbesondere die Darstellung von Menschen ist aus religiösen Gründen verboten. Trotz aller Beschränkungen wurde bildliche Kunst im Islam über Raum und Zeit hinweg nie ganz verbannt. Sie ist auch heute noch in muslimischen Ländern zu finden und nicht unüblich. Es gibt gesellschaftliche Praktiken des Konsums und des Produzierens von Bildern, die sogar weit entfernt von den Vorstellungen islamischer Gelehrter sind. Abgesehen von Moscheen haben bildliche Darstellungen innerhalb des städtischen und privaten sowie des religiösen, politischen und weltlichen Raumes Verbreitung gefunden (wie etwa auf Briefmarken, Münzen und Plakaten).
Gibt es rechtliche Vorschriften in den Grundlagentexten, die die Darstellung von Lebewesen verbieten? Welche Argumente brachten Juristen und Theologen gegen die Darstellung von Menschen und Tieren während der „klassischen“ Periode des Islams hervor? Wie werden diese heutzutage von den offiziellen religiösen Obrigkeiten in der muslimischen Welt ausgelegt?
Quelle 1

Aishas Vorhang mit Bildern

Aisha erzählte: Allahs Gesandter (Friede sei mit ihm) kam zu Besuch. Ich hatte ein Regal mit einem dünnen Stoffvorhang verdeckt, auf dem Portraits standen. Sobald er dies sah, riss er die Portraits entzwei, sein Gesicht verdunkelte sich und er sprach: Aisha, diejenigen, die Allah in der Erschaffung seiner Schöpfung nachahmen, peinigt er am Tag der Auferstehung mit den schmerzlichsten aller Qualen.

Sahih Muslim 24 5261. Ins Deutsche übersetzt von Kerstin Bachmeier.


Der Koran enthält kein ausdrückliches Bilderverbot. Im Gegensatz hierzu spielen die Hadithe indirekt darauf an, indem sie einen Zusammenhang zwischen Tatsachen und den Worten des Propheten zu einer Bandbreite von Themen, wie etwa Verehrungsorte oder die Voraussetzungen für das Beten, herstellen. In dem von A‘isha überlieferten Hadith wird die Abneigung des Propheten gegenüber den auf den Kissen seiner sehr jungen Frau abgebildeten Bildern mit dem provokativen und unverzeihlichen Akt der Gottesverachtung seitens des Künstlers erklärt. Nur Gott alleine ist der Schöpfer, nur er alleine kann erschaffen und Wesen Gestalt und Leben verleihen. Am Tag der Wiederauferstehung wurde der Künstler wegen seiner Respektlosigkeit schwer bestraft.

Quelle 2

Gabriel überreicht Mohammed den Koran

Persisches Miniaturbild (frühes 14. Jahrhundert).
Wikimedia commons. Nutzung unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation
Bild frei zugänglich unter URL: http://commons.wikimedia.org/wiki/...the_angel_Gabriel.jpg (19/12/2014)


Sechs Jahrhunderte nach der Entstehung des Islam tauchten Szenen aus dem Leben des Propheten in persischen Miniaturbildern auf. Diese außerordentliche „Innovation“, die manchmal als „Wunder“ galt, stammt aus dem Iran während der Herrschaft der islamisierten mongolischen Dynastie der Ilchane. Die Pracht des königlichen Hofes und Patronats förderte die Herstellung solcher Miniaturbilder vergleichbar mit dem Bild von Rashid al-Din (der 1318 verstarb), das die Universalgeschichte darstellt. Der Autor dieser „Universalgeschichte“ war ein persischer Arzt mit jüdischen Wurzeln und zweiter Wesir des Ghazan Khan, des zum Islam konvertierten mongolischen Herrschers von Täbris. Das Gesicht des Propheten ist nicht mehr verhüllt und seine Gesichtszüge und sein Bart sind erkennbar. Auch seine Kleidung ist zu sehen und sogar seine Schuhe.

Quelle 3

Auszüge aus Mohammed – Der Gesandte Gottes (Moustapha Akkad).

http://www.dailymotion.com/video/x5dwli_le-message-el-risala-le-film-1-9_news


Die ‚Ulama' mussten sich an die wachsende Menge von Bildern (Poster, Fotografien, Kino, Fernsehen) anpassen. 1922 haben Fatwas (=islamische Rechtsauskünfte) die bildenden Künste und die Fotografie legitimiert. Das Fatwa al-Azhar erlaubte sogar die Produktion des religiösen Filmes Mohammed – Der Gesandte Gottes von Mustapha al-Aqqad (1976-77). Allerdings wurde der syrisch-amerikanische Filmemacher sowohl in der arabischen als auch in der amerikanischen Filmversion dazu gezwungen, den Propheten und seinen Schwiegersohn Ali nicht darzustellen. Um das Verbot zu umgehen, wurden die Szenen mit beiden Charakteren aus einer subjektiven Kameraperspektive (Point-of-View-Shot) gedreht. Dennoch wurde der Film in Saudi-Arabien verboten und religiöse Fundamentalisten sprachen Drohungen gegen den Filmemacher aus.

Quelle 4

Die Meinung des ägyptischen Scheichs Yusuf Qaradawi zu Bildern

1) E s herrscht ein absolutes Verbot für Figuren, die für die Verehrung anstelle Gottes gemacht werden. Wer absichtlich zu diesem Zwecke Figuren anfertigt, wird zum Ungläubigen*. Dabei sind Statuen die verabscheuungswürdigsten Figuren. Jeder, der an ihrer Erschaffung oder Verherrlichung beteiligt ist, begeht eine Sünde, deren Schwere abhängig ist vom Grad der Beteiligung.
2) Ebenfalls verboten, wenn auch weniger streng, sind Figuren, die nicht zum Zwecke der Verehrung geschaffen werden, sondern zur Imitation der Schöpfung Allahs dienen. Behauptet der Künstler, er könne wie Allah eine Schöpfung hervorbringen, so ist er ein Ungläubiger*. Dies ist jedoch voll und ganz abhängig von der Absicht des Künstlers.
3) Das Verbot gilt auch für Statuten, die auf öffentlichen Plätzen zum Gedenken an große Persönlichkeiten wie etwa Könige, Anführer und berühmte Personen errichtet wurden und umfasst alle Statuen und Büsten.
4) Darauf folgen die Figuren lebender Personen, die weder angebetet noch verehrt werden. Generell besteht Einigkeit darüber, dass auch sie verboten sind. Ausgenommen hiervon sind Figuren, die nicht mit Respekt behandelt werden, wie etwa Kinderspielpuppen oder Figuren aus Schokolade und Zucker, die zum Verzehr gedacht sind.
5) Ebenfalls verboten sind die Portraits großer Persönlichkeiten wie etwa Herrscher und politische Anführer, insbesondere wenn sie öffentlich ausgestellt oder an Wänden zur Schau gestellt werden. Portraits von Tyrannen, Atheisten und unmoralischen Einzelpersonen unterliegen dabei einem besonders strengen Verbot, da der ihnen entgegengebrachte Respekt den Islam herabsetzt.
6) Es folgen die Bilder von Menschen oder Tieren, denen zwar kein Respekt entgegengebracht wird, die aber als Ausdruck von Reichtum und eines erhabenen Lebensstils beispielsweise eine Wand oder ähnliches zieren. Diese Bilder sind als verachtenswert einzustufen.
7) Nicht verboten ist es hingegen, Bilder und Gemälde von Bäumen, Seen, Schiffen, Bergen, Landschaften oder ähnlichem anzufertigen und zu kaufen. Wenn diese jedoch von der Verehrung ablenken oder zu einem verschwenderischen Lebensstil führen, werden sie missbilligt.
8)Fotografien werden in der Regel akzeptiert. Sie sind erst vom Verbot betroffen, wenn das abgebildete Thema verboten ist. Dies ist etwa bei Idolen oder Personen der Fall, die wegen ihrer religiösen oder sozialen Position verehrt werden, insbesondere wenn es sich bei den dargestellten Personen um verdorbene Übeltäter wie etwa Götzenanbeter, Kommunisten und unmoralische Künstler handelt.

*Ungläubiger: Arabisch kāfir, auch „Untreuer“ genannt Ein Ungläubiger glaubt nicht an Allah, lehnt den Islam ab oder greift diesen an. Dem Koran zufolge erhält der Ungläubige beim Jüngsten Gericht die höchste Strafe.

Erlaubtes und Verbotenes im Islam, Ausgabe 2013, Islamic Book Trust, Selangor, Malaysia, S. 126 – 127. Ins Deutsche übersetzt von Kerstin Bachmeier.

Die Frage nach den Bildern ruft oft heftige Reaktionen in der muslimischen Welt hervor; so bekundeten beispielsweise Salafisten nach der Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen 2006 und nach den Vorführungen der arabischen Version des 2007 erschienenen Films Persepolis in Tunis 2011 ihren Ärger über die blasphemische Darstellung Gottes auf gewaltsame Weise. Die strengsten fundamentalistischen Juristen verachteten alle Bilder, nicht nur die, die an Götzenverehrung grenzen. Andere wie etwa der als moderater Sunnit geltende ägyptische Rechtsgelehrte und Theologe Yusuf Qaradawi führten verschiedene Stufen der Verurteilung ein. Gegen die „westliche Dekadenz“ bestätigte er die Notwendigkeit der „Rückkehr zu einem ‚reinen‘ Islam“. In seiner Monographie Erlaubtes und Verbotenes im Islam (1960) untersuchte er die Bilderfrage. Basierend auf die Hadithe vertritt er eine sehr restriktive Position in Bezug auf die Verwendung von Bildern.