3. Das „Wunder“ der Erschaffung des Menschen in islamischen Erzählungen

Einführung
Obwohl die Geschichte von der Erschaffung des Menschen einen wichtigen Platz im Koran einnimmt, wird sie nicht in einer einzigen und zusammenhängenden Geschichte erzählt. Die Figur Adams als Gottes Geschöpf ist die Grundlage vielfältiger Interpretationen, welche die mittelalterliche Vorstellung des Islams beeinflussten, die mystische Spiritualität bereicherten und während der ersten fünf Jahrhunderte des Islams theologische sowie philosophische Kontroversen hervorriefen. Die Beziehung zwischen einem allmächtigen und allwissenden Gott und seiner Schöpfung, die ihm in seiner Verehrung und in der Suche nach Erlösung treu ergeben ist, war bei der Ausweitung der islamischen Gedankenwelt ein zentrales Thema. Bei der Auslegung der Erzählungen des Islams griffen die als Kommentatoren des Korans und des/der Hadith/e tätigen Geschichtsschreiber sowie muslimische Gelehrte für die Argumentations- und Beispielfindung zur Unterstützung der Lehren des Korans auf Anekdoten und Legenden zurück, die auch oft in biblischen Erzählungen oder apokryphische Schriften zu finden waren. Diese boten Dichtern und Mystikern eine außerordentliche Inspirationsquelle.
Quelle 1

Al-Tabari, Geschichte der Propheten und Könige

Als Gott Adam erschaffen wollte, gebot er Gabriel verschiedene Lehmarten vom Antlitz der Erde zu sammeln: schwarz, weiß, rot, gelb, blau und weitere verschiedene Sorten. Gabriel gelangte zu der Stelle, an der heute der Tempel der Kaaba steht. Dort wollte er sich bücken und den auf der Erde liegenden Lehm aufheben. Da begann die Erde zu sprechen und sagte: Oh Gabriel, was willst du tun? Gabriel antwortete: Ich möchte vom Antlitz der Erde etwas Lehm, Schlamm und ein paar Steine sammeln, denn Gott wird einen Stellvertreter aus dir erschaffen. Die Erde verfluchte Gott und antwortete: Es ist dir nicht gestattet Lehm oder Staub oder Stein von der Erde zu nehmen. Was würde passieren, wenn Gott Lebewesen aus mir schafft und diese dann Böses auf der Erde tun und ungerechterweise Blut vergießen? Gabriel zog sich daraufhin zurück. [Gott schickte Michael und anschließend Azrael, den Engel des Todes.] Azrael kam und blieb, obwohl die Erde erneut denselben Fluch aussprach. [Er nahm 40 Ellen von jeder Lehmart und aus diesem Boden schuf Gott Adam.] Adam lag 40 Jahre lang regungslos und von Ost nach West ausgerichtet an seinem Platz. Der Lehm trocknete und das Geschöpf war noch hohl. Über die Kehle gelangte die Seele in seine Brust und seinen Bauch (...). Als die Seele seinen Kopf erreichte und Adam nieste, sprach er: Lobet Gott! Mit der Ausbreitung der Seele in seinem ganzen Körper wurde Adam zum perfekten Menschen.

Al-Tabarī, Geschichte der Propheten, Könige und Kalifen. Ins Deutsche übersetzt von Kerstin Bachmeier.

In islamischen Texten wird mythologischen Themen und dem Kommentar zum Koran große Bedeutung zugeschrieben, insbesondere in den Schriften von al-Tabari (der 923 starb), des Autors der monumentalen Geschichte der Propheten und Könige. Das Mitwirken eines Engels bei der Suche nach dem Ausgangsmaterial ist in der islamischen Tradition weit verbreitet. Einem Gelehrten aus dem 11. Jahrhundert zufolge forderte Gott den Engel Izra'il dazu auf, Salz und Schweiß für die Gärung mit Ton zu vermischen. Aus dieser vergorenen/unreinen und stinkenden Masse schuf Gott ein Lebewesen ohne Seele, das die Engel verängstigte. Keiner interessierte sich für die Kreatur, „keiner dachte mehr an sie“ (al-Tabari), sodass sie schnell in Vergessenheit geriet. Verachtet als gewöhnliche Töpferware zog sie sich leblos 40 Tage oder 40 Jahre zurück.

Quelle 2

Die Erschaffung des Menschen und der Aufstand des Iblis

10 Und Wir haben euch ja auf der Erde eine feste Stellung verliehen, und Wir haben für euch auf ihr (Möglichkeiten für den) Lebensunterhalt geschaffen. Wie wenig ihr dankbar seid! 11 Und Wir haben euch ja erschaffen. Hierauf haben Wir euch gestaltet. Hierauf haben Wir zu den Engeln gesagt: „Werft euch vor Ādam nieder!“ Da warfen sie sich nieder, außer Iblīs. Er gehörte nicht zu denjenigen, die sich niederwerfen. 12 Er (Allah) sagte: „Was hat dich davon abgehalten, dich niederzuwerfen, als Ich (es) dir befahl?“ Er sagte: „Ich bin besser als er. Du hast mich aus Feuer erschaffen, ihn aber hast Du aus Lehm erschaffen.“ 13 Er (Allah) sagte: „So geh fort von ihm! Es steht dir nicht zu, darin hochmütig zu sein. So geh hinaus! Gewiß, du gehörst zu den Geringgeachteten.“ 14 Er sagte: „Gewähre mir Aufschub bis zu dem Tag, da sie auferweckt werden.“ 15 Er (Allah) sagte: „Du sollst gewiß zu denjenigen gehören, denen Aufschub gewährt wird.“ "

Quran 7, 10 – 15. Übersetzt von: Abdullah As-Samit (F. Bubenheim) und Nadeem Elyas. Empfohlene Quellenangabe: Mit Allahs Hilfe ist diese Auflage des Qur'an mit der Übersetzung seiner Bedeutungen vom König-Fahd-Komplex zum Druck vom Qur'an in al-Madina al-Munauwara unter Aufsicht des Ministeriums für Islamische Angelegenheiten, Stiftungen, Da-Wa und Rechtweisung im Königreich Saudi-Arabien herausgegeben worden. 1424 n.H./2003 n.Chr. (2. Auflage). Online abrufbar unter URL: www.islam.de (23.04.2015).
http://en.wikisource.org/wiki/Quran_%28Progressive_Muslims_Organization%29 (19/12/2014)

Die Geschichte von der Erschaffung Adams verteilt sich auf mehrere kleine Erzählungen und auf Mahnungen in den Suren. Angeblich formte Gott Adam ebenso kunstvoll wie der Töpfer seinen Tonhaufen. Adams perfekte Form bringt die Bevorzugung zum Ausdruck, die ihm von demjenigen entgegengebracht wird, der ihm den Geist (ruh) einhauchte (38, 71-72). Wissen verlieh Adam zusätzliche Würde: Gott brachte ihm die Namen aller Lebewesen bei (2, 29-30). Von den Engeln, die nach Erhalt der Nachricht über die Schöpfung eines neuen Wesens verängstigt waren, weigerte sich nur Iblis vor Adam niederzuknien (2, 32). Gott verhieß Iblis sich seiner Anweisung zu beugen; dieser weigerte sich jedoch unter Berufung auf seine Herkunft aus dem Feuer, die der Herkunft Adams aus Lehm überlegen war. Als Bestrafung für seine Arroganz wurde Iblis von Gott verstoßen und von den teuflischen Kreaturen, den Schaitans, verfolgt.

Quelle 3

Die Verehrung Adams durch die Engel

Buchmalerei von Husayn Gazurgahi Sessions of the Lovers. Iran, Chiraz, ca. 1575 Nationalbibliothek Frankreich BNF, Manuscrits, suppl. persan 776 f. 11v. http://expositions.bnf.fr/parole/grand/suppers_776_011v.htm (23.04.2015) ©BNF.

Das Miniaturbild ist voller ikonographischer Details. Unsere Aufmerksamkeit wird zunächst auf Adams Körper gelenkt, der mit ausgestreckten Beinen und inaktiv auf dem Boden liegt. Seine Hände bedecken seine Blöße. Acht Engel umringen ihn kronenförmig und knien vor ihm nieder. Ihre farbenreiche Kleidung (blau oder rot) und die Eleganz ihrer ausgebreiteten Flügel sei hier besonders betont. Die Helligkeit von Adams weißen Körper, der den Blicken der Engel ausgesetzt ist, steht im Kontrast zur dunklen, flügellosen Figur des Iblis, der die Szene betrachtet, die sich in der aufwändigen Umgebung eines von Bergen und Bäumen umgebenen dekorativen Blumenmeers abspielt.