4. Die Jüdische Moderne

Einführung

Die Vertreibung der Juden aus verschiedenen christlich geprägten Regionen Europas, insbesondere der iberischen Halbinsel, führte zu großen Bevölkerungsverschiebungen mit bedeutenden territorialen, kulturellen und religiösen Folgen. Nach dem 18. Jahrhundert war die religiöse Erneuerung von großer Bedeutung für die gesamte jüdische Welt: Vor dem Hintergrund größerer Toleranz im westlichen Christentum leitete die jüdische Moderne die Emanzipation der europäischen Juden während des 19. Jahrhunderts ein.
Quelle 1a

Letter by Baal Shem Tov

Auszug aus einem von Baal Schem Tov verfassten Brief an seinen Schwager Abraham Gershon von Kitov (auch bekannt als Rabbi Gershon von Brody). In diesem Brief berichtet er von einer mystischen Erfahrung, die er am jüdischen Neujahrstag Rosh Hashana des Jahres 5507 (1747) machte.

„An Rosh Hashanah des Jahres 5507 führte ich, mittels eines Schwures, eine Emporhebung der Seele1 durch, wie Dir bekannt ist, und sah erstaunliche Dinge, die ich nie vorher gesehen hatte. Was ich sah und erlernte, ist unmöglich in Wörtern zu übermitteln, nicht einmal von Angesicht zu Angesicht. […]
Ich stieg von Stufe zu Stufe auf, bis ich die Kammer des Mashiach betrat, wo der Mashiach mit allen Weisen und Tzadikim Torah erlernte, und ebenso mit den sieben Hirten2. […]
Ich sah dort große Freude, aber ich kannte nicht den Grund dafür. Anfangs dachte ich, dass der Grund für diese Freude sei, dass ich von der körperlichen Welt dahingeschieden war3, G-tt behüte. Später erklärten sie mir, dass meine Zeit zu sterben noch nicht gekommen sei, da sie große Freude in der Höhe hätten, wenn ich hier unten Einigung, durch die Heilige Torah hervorbringe. Bis zum heutigen Tag, kenne ich nicht den Grund für diese Freude.
Ich fragte den Mashiach: „Wann wird der Meister kommen?“, und er antwortete: „Hiermit wirst du es wissen“: 
"In der Zeit, wenn deine Lehre in der Welt bekannt und enthüllt wird, und deine Quellen zu den fernsten Gegensätzen durchbrechen, das was ich dich lehrte und was du verstanden hast […]." […]“

Die Antwort des Mashiach an Baal Schem Tov, die den Zusammenhang zwischen seinen Lehren und der Ankunft des Zeitalters des Messias verdeutlicht, wurde für die chassidische Bewegung ein regelrechtes Manifest der Allgemeingültigkeit ihrer Bedeutung.
Der Sinn der Offenbarung und der weltweiten Verbreitung der „Chassidut Chabad“ liegt darin, jedem das Verständnis der Lehren des Baal Schem Tov zu ermöglichen, um diese zur Grundlage ihres alltäglichen Lebens zu machen.

Anmerkungen:
1. Die Erhebung der Seele in spirituelle Sphären ist eine von Baal Schem Tov häufig genutzte kabbalistische Methode. Der chassidischen Tradition zufolge befand sich Baal Schem Tov häufiger in der spirituellen Welt als in dieser Welt.
2. Diese sind Abraham, Isaak, Jakob, Joseph, Moses, König David und König Salomon.
3. Der Tod eines rechtschaffenden Menschen ist aus esoterischer Sicht eine Quelle großer Freude, da der Tote von den Zwängen seines Körpers und der Welt befreit ist.
4. Die Formulierung dieser von Baal Schem Tov auf Aramäisch aufgeworfenen Frage wurde von Rabbi Joshua Ben Levi in der Abhandlung über den Sanhedrin (98a) übernommen.

Der vorliegende Text ist ein von Baal Schem Tov verfasster Brief an seinen Schwager Abraham Gershon von Kitov (auch bekannt als Rabbi Gershon von Brody) über eine mystische Erfahrung, die er am jüdischen Neujahrstag Rosh Hashana im Jahr 5507 (1747) machte.
Aus: Kaplan, Aryeh (1989): Chasidic masters. And their teachings. Unknown: Moznaim Publishing Corp. In deutscher Übersetzung von Peter Staaden, S. 12. Online abrufbar unter URL:
http://kabbala-info.net/deutsch/baalshemtovbegegnetdemmashiach.htm (03.07.2015).



Der vorliegende Auszug stammt aus einem Brief von Israel ben Elieser, auch als Baal Schem Tov bekannt, an seinen Schwager Rabbi Gershom von Kitov (auch als Rabbi Gershon von Brody bekannt). In diesem Brief wird eine mystische Erfahrung beschrieben, die er am jüdischen Neujahrstag (Rosh Hashana) im Jahr 1747 machte. Der mystische Rabbi Baal Schem Tov gilt als der Begründer des Chassidismus. Diese religiöse Bewegung entstand im 18. Jahrhundert in Osteuropa und zeichnete sich einerseits aus durch Frömmigkeit und das strikte Einhalten der Regeln und andererseits durch eine mit Tanz und Gesang geschaffene fröhliche Gemeinschaft mit Gott. Der Chassidismus ist heute eine der großen Strömungen des ultra-orthodoxen Judentums. Der hier vorliegende Text vermittelt auch die Idee, dass das Göttliche sowohl durch alltägliche Handlungen als auch durch das Lernen verstanden werden müsse.

Quelle 1b

Baruch Agadati in chassidischer Tracht beim Tanz „Melaveh Malka“

Dieses in Venedig der 1920er Jahre aufgenommene Bild zeigt den großen jüdischen Tänzer Baruch Kowansky, auch als Baruch Agadati (der außergewöhnliche Baruch) bekannt. Er wurde in Odessa geboren. Als junger Mann ging er nach Palästina, wo er jüdische Volkstänze kreierte, die heute als „Israelische Tänze“ bekannt sind. Baruch Agadati tourte durch Ost- und Westeuropa. Auf diesem Bild trägt er die für Osteuropa traditionelle jüdische Tracht und versinnbildlicht damit die Bedeutung des Tanzes als Ausdruck der Freude im Chassidismus. Tanz gilt als Mittel zur Reinigung der Seele, zur Erhebung des Geistes und zur Schaffung von Zusammenhalt in der Gemeinschaft.


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Abbildung unter URL:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Agadati_katz011.jpg (09/02/2015)

Quelle 2

Moses Mendelssohn


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(09/02/2015)

Dieses Bild zeigt den großen jüdischen Philosophen und Begründer der jüdischen Aufklärung (Haskala) Moses Mendelssohn (1729-1786). Er war Talmudgelehrter, aber auch in weiteren weltlichen Disziplinen gebildet (unter anderem Mathematik, Latein und insbesondere Philosophie). Als großer Verfechter der Emanzipation der Juden befürwortete er einen nicht-bekehrenden jüdischen Universalismus und lehnte jegliche Unvereinbarkeit von bürgerlichen und religiösen Pflichten ab. Er fertigte die erste Übersetzung der Bibel aus dem Hebräischen ins Deutsche an.

Quelle 3a

Der Brief des Berr-Isaak Berrs

Sehr geehrte Herren und Brüder,
Ter Tag ist gekommen, an dem der Schleier der Erniedrigung zerrissen wurde. Wir haben die Rechte wiedererhalten, die uns vor mehr als 18 Jahrhunderten genommen wurden. Darin erkennen wir die wunderbare Güte des Gottes unserer Vorfahren!
Dank Gottes und der Hoheit der Nation stehen wir nun hier nicht nur als Männer und Bürger, sondern auch als Franzosen! Allmächtiger Herr, welch willkommenen Wandel hast du uns gebracht! Am 27. September schienen wir noch die einzigen Bewohner dieses weiten Reiches zu sein, die in Ketten lagen und zur ewigen Erniedrigung verdammt waren. Schon am nächsten Tag, am 28. September, ein denkwürdiger Tag, den wir fortan für immer feiern werden, inspiriertest du diese unvergänglichen Gesetzgeber Frankreichs. Sie trafen eine Entscheidung, die mehr als 60.000 klagende Opfer mit purer Freude überwältigte.
Wir leugnen nicht, liebe Brüder, dass wir diese wundervolle Erweckung weder mit unserer Reue noch unserer Moral verdient haben: Wir können und dürfen sie nur der andauernden himmlischen Güte zuschreiben, die uns nie verlassen hat. Auch wenn wir dem Versprechen der vollkommenen und ewigen Erlösung noch nicht würdig waren, wurden unsere Leiden dennoch nicht drückender. Unsere Ketten wurden immer unerträglicher angesichts dieser vollendeten und viel gelobten Menschenrechte.
Gott, der die Herzen der Menschen liest, griff ein, nachdem er gesehen hatte, dass unsere Schicksalsergebenheit nicht ausreichen würde, dies auszuhalten und nachdem er gesehen hatte, dass es übernatürlicher Kräfte für das Ertragen dieser neuen Qualen bedarf. Gott wählte die großzügige Nation Frankreich für die Wiederherstellung unserer Rechte und für unsere Erneuerung, nachdem er in früheren Zeiten Antiochos und Pompey für unsere Erniedrigung und Knechtung gewählt hatte. Welch Ruhm für diese Nation uns so viel Freude in so kurzer Zeit zu bescheren! Sicherlich, in Anbetracht dessen, dass Menschen in der Regel per Gesetz und durch die eben erlangte Freiheit Franzosen werden, haben auch wir an diesem Punkt viel gewonnen und müssen äußerst dankbar sein für diese glückliche Fügung unseres Schicksals! Von niederträchtigen Sklaven, Leibeigenen, in diesem Reich kaum tolerierten Menschen, die willkürlich einer erheblichen Steuer unterworfen waren, wurden wir plötzlich zu Kindern des Landes, mit all seinen Lasten und gemeinsamen Rechten [...].

Lettre d’un citoyen, Berr Isaac Berr de Turique, 1791. Vom Französischen ins Englische übersetzt von Marie Lebert.
http://judaisme.sdv.fr/histoire/document/ecoles/beer/beer.htm In deutscher Übersetzung von Anke Kasper.

Der vorliegende Text ist ein von Berr-Isaac Berr von Turique (1744-1828) verfasster Brief. Berr war Vertreter der Juden der französischen Region Lothringens und leitete am 14. Oktober 1789 eine Delegation zur Nationalversammlung, wo er die französische Staatsbürgerschaft für seine Glaubensgenossen in Lothringen verteidigte. Unter der Herrschaft Napoleons war er ein Mitglied des Sanhedrins. Mit seinem Brief wendet er sich an französische Juden nur wenige Tage nach der Nationalversammlung am 28. September 1791, bei der beschlossen wurde, dass „Juden in Frankreich die Rechte mündiger Bürger genießen werden“. Er forderte Juden auf, ihre Dankbarkeit gegenüber Frankreich zu zeigen, da Frankreich als erste Nation jüdischen Männern und Frauen gleiche Bürgerrechte gewährte.

Quelle 3b

Napoleon der Große stellt den Kult der Israeliten wieder her (30. Mai 1806), ohne Datum

Das vorliegende Gemälde wurde vom Zeichner und Künstler Louis-François Couché (1782-1849) gemalt, der für seine Zeichnungen von Napoleon bekannt war. Dieses Kunstwerk zeigt eine Allegorie des Kaisers, der das Recht auf Religionsfreiheit für alle jüdischen Bürger wiederherstellt. Das Kunstwerk tendiert dazu, Napoleons Handlungen zu glorifizieren. Es bietet allerdings auch die Möglichkeit, seine widersprüchlichen Strategien gegenüber Juden zu überdenken. Diese umfassten einerseits die institutionelle Integration der Juden in die Ordnung anerkannter Religionen (einschließlich des von Napoleon geschaffenen Konsistoriums Consistoire Central Israélite), und andererseits die Einführung gewisser diskriminierender Verordnungen, die teilweise im Widerspruch standen zu den Errungenschaften der Revolution und dem Zivilgesetz, das allen Bürgern Gleichheit vor dem Gesetz garantierte.

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Frei zugänglich. Abbildung unter URL:
http://commons.wikimedia.org/...Napoleon_stellt_den_israelitischen_Kult_wieder.jpg (09/02/2015)