4. Globalisierung, Fundamentalismus und Maximalismus
Globalisierung
Globalisierung bezeichnet das Wachsen der Welt (aufgrund des zunehmenden Bewusstseins für Ereignisse in fernen Teilen der Welt) und das gleichzeitige Schrumpfen der Welt (aufgrund des Einflusses der Ereignisse in fernen Teilen der Welt, während früher lediglich Ereignisse in nahen Teilen einen Einfluss hatten).
Wegen des umfassenden Anstiegs an weltweitem Kulturaustausch beinhaltet Globalisierung auch eine neue Perspektive auf Werte und Religion. Folglich müssen Glaubensanhänger der ganzen Welt mit der Kenntnis umgehen, dass ihre Religion nur eine von vielen ist. Peter Beyer (*1949) geht davon aus, dass Religionen angesichts der Globalisierung lediglich zwei Optionen haben: Sich entweder zu isolieren oder sich aktiv in die neue Ordnung der Welt einzubringen. Manche Religionen betonen ihre Zugehörigkeit zu einer lokalen oder nationalen Ebene und stehen allen anderen nicht lokal oder national verwurzelten Dingen kritisch gegenüber. Wieder andere sehen die globale Welt als Möglichkeit und Chance, Menschen weltweit zu erreichen. Beiden Ansätzen ist gemein, dass sie im gleichen Maße Antworten auf die Globalisierung darstellen.
Beispiele für Religionen und religiöse Gruppen, die eine globale Perspektive ablehnen, sind die sogenannten „maximalistischen Religionsgemeinschaften und Bewegungen“. Viele maximalistische Bewegungen arbeiten aktiv an der gesellschaftlichen Umgestaltung durch politische Handlungen. Ihnen erscheinen Kompromisse in Sachen der eigenen Religion unmöglich. Daher versuchen sie, Religion selbst zum bestimmenden politischen System der Gesellschaft zu machen. Während im Zuge der Säkularisierung Religion und Politik getrennt wird, streben Maximalisten das Gegenteil an. Maximalismus kann somit als Reaktion sowohl auf die Säkularisierung als auch auf die Globalisierung gesehen werden.
Maximalismus gibt es in vielen Religionen wie etwa dem Christentum, dem Islam, dem Judentum und dem Hinduismus. Gewöhnlich unterscheiden Maximalisten nicht zwischen Religion und Politik als voneinander getrennte Sphären und versuchen, das gesamte Leben rund um die Uhr in Einklang mit den religiösen Vorschriften zu bringen.
Die Texte basieren auf der englischsprachigen Einleitung zu Horisont, einem Lehrbuch für den Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe in Dänemark. Das Buch wurde von den Lehrbeauftragten Annika Hvithammer und Tim Jensen sowie den Gymnasiallehrern Allan Ahle und Lene Niebuhr herausgegeben und ist 2013 im Gyldendal Verlag in Kopenhagen erschienen. Die Einleitung wurde ursprünglich von Annika Hvithamar und Tim Jensen verfasst.
Junge Angehörige der Brahmanenkaste in einem überwiegend hinduistischen Land.
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In überwiegend hinduistischen Ländern ist das Kastensystem trotz der gegenläufigen Gesetze und Kampagnen immer noch weit verbreitet. In vielen Bereichen bestimmt die Kaste nach wie vor die Arbeit, den Ehepartner und die Freunde. Die auf dem Bild dargestellten Jungen sind Angehörige der Brahmanenkaste und tragen als Kennzeichen dafür eine weiße Schnur um ihre Schultern – die normalerweise von ihrer Kleidung verdeckt wird. Die Striche auf ihrer Stirn symbolisieren Shivas Dreizack und sind ein Zeichen seiner Verehrung.
Protestantische Frau mit der englischen Flagge vor einem Feuer in Belfast, Nordirland.
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Protestantische Frau mit einer englischen Flagge vor einem Feuer in Belfast, Nordirland. Dort findet jährlich eine Prozession der Protestanten statt zur Erinnerung an die Schlacht am Boyne, bei der 1690 der protestantische König Wilhelm III von Oranien-Nassau über den katholischen König James II triumphierte. Der Marsch war wiederholt der Auslöser für gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen irischen Protestanten und Katholiken.
FUNDAMENTALISMUS, MAXIMALISMUS UND MINIMALISMUS
Der Begriff Fundamentalismus entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA. Christliche Glaubensgruppen, die die Rückkehr zu den in den heiligen Schriften zu findenden „Grundlagen“ der Religion anstrebten, wollten die Gesellschaft nach der (eigenen) wörtlichen Auslegung der Bibel gestalten. So wurden konservative Familienwerte gefördert und die schulische Vermittlung der Evolutionstheorie von Charles Darwin abgelehnt. In den USA sind fundamentalistische Gruppen noch immer weit verbreitet. Heutzutage wird der Begriff „Fundamentalismus“ oft in Verbindung mit (radikalen) islamistischen Gruppen gebraucht und klingt eher abfällig. Daher erscheint bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Religion die Verwendung der Begriffe „Maximalismus“ und „Minimalismus“ von Bruce Lincoln (*1948) sinnvoller. „Maximalistische Religion innerhalb einer Religion“ bezeichnet dabei Gruppen und Individuen, die den Einfluss von Religion auf alle gesellschaftlichen Bereiche und auf alle Handlungen befürworten. Religiöse Minimalisten hingegen sind der Meinung, dass Religion individuell, privatisiert und unabhängig von der Politik ist oder sein sollte und von den Individuen selbst gewählt wird. Entscheidend hierbei ist, dass innerhalb einer Religion sowohl Minimalisten als auch Maximalisten zu finden sind und eine Religion nicht entweder maximalistisch oder minimalistisch ist.
Die Texte basieren auf der englischsprachigen Einleitung zu Horisont, einem Lehrbuch für den Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe in Dänemark. Das Buch wurde von den Lehrbeauftragten Annika Hvithammer und Tim Jensen sowie den Gymnasiallehrern Allan Ahle und Lene Niebuhr herausgegeben und ist 2013 im Gyldendal Verlag in Kopenhagen erschienen. Die Einleitung wurde ursprünglich von Annika Hvithamar und Tim Jensen verfasst.