10. Der Islam in der modernen Welt

Einführung
2010 ergab eine Studie des Pew Research Center, die nationale Zensus von über 150 Ländern auswertete, für Muslime einen Anteil von 23 % der Weltbevölkerung – gewertet wurden Menschen, die sich kulturell und historisch mit dem Islam identifizieren. Der Islam gilt momentan als zweitgrößte Weltreligion. Demographische Dynamiken in den islamischen Ländern sowie bedeutende Migrationswellen in den 1950er Jahren brachten räumliche Veränderungen und eine neue „Heimat“ der Muslime mit sich – die „Diaspora“. Migranten aus der muslimisch-arabischen Region waren ebenso betroffen, wie Auswanderer aus der Türkei, Afrika südlich der Sahara sowie Südostasien. Dieser Trend wird oft „transplantierter“ Islam genannt, da die Migranten und ihre Familien mittlerweile in Europa größere religiöse Minderheiten bilden. Motiviert wurden die Migrationsbewegungen durch Bürgerkriege, politische Instabilität und Dekolonisierungen. Dabei ließen sich Inder, Pakistani und Bangladeschi hauptsächlich in Großbritannien und Nord- und Westafrikaner eher in französischsprachigen Ländern nieder. In der (alten) muslimischen Welt sorgten die steigende Bevölkerungszahl, die wirtschaftliche Entwick-lung einiger Länder – z. B. der Vereinigten Arabischen Emirate, Indonesiens, Malaysias etc. – und die aufblühende Mittelschicht für einen gewissen Markt in einigen wirtschaftlichen Sektoren (Tourismus, Hotels, Restaurants etc.).
Quelle 1a

Mitgliederzahlen der großen Weltreligionen (Stand 2010)

Forum für Religion und Öffentliches Leben des Pew Research .
lizenzfrei abrufbar unter: : http://www.pewforum.org/...global-religious-landscape-exec/
(Zugriff am 5.1.15)

Diese demographischen Daten – die Karte und das Diagramm – liefern nur einen schematischen Überblick über die geographische Verteilung muslimischer Gemeinden auf der Welt und sollten mit Bedacht ausgewertet werden. Die Zahlen stammen hauptsächlich aus Regierungserhebungen, die variable Kriterien und teils fragwürdige statistische Methoden anwenden. Darüber hinaus ist es in Frankreich und anderen Ländern verboten, Daten über religiöse Zugehörigkeit zu sammeln, weshalb die Statistiken nicht verlässlich sein können.

Quelle 1b

Regionale Verteilung von Muslimen (Stand 2010)

Forum für Religion und Öffentliches Leben des Pew Research lizenzfrei abrufbar unter: : http://www.pewforum.org/2012/12/18/global-religious-landscape-muslim/
(Zugriff am 5.1.15)

Quelle 2

TDer wiedererstarkende Mythos vom erobernden Islam

Das „Nein” zum Bau von Minaretten in der Schweiz, das sich im Referendum am 29. November [2009] größtenteils durchsetzte, hat nicht nur das Land in Schock versetzt, sondern auch Entsetzen und Ärger in Europa und der islamischen Welt verursacht. Weder Fremdenfeindlichkeit noch der aufkommende rechte Flügel können solch ein Ergebnis erklären (die 57% der “Anti-Minarett-Stimmen” lagen prozentual weit über der rechtsradikalen Klientel, welche das Referendum initiiert hatte). Es ist ebenso schwierig, die endlosen Diskussionen über die Burka oder die aktuellen Spannungen nachzuvollziehen, die die französische Regierung zur nationalen Identität hervorgerufen hat. Noch über die internationale Ebene hinaus, insbesondere angesichts der wiederkehrenden Diskussion über “islamistischen Terror” und neuer Themen wie der “grünen Gefahr”, die die „kommunistische Gefahr“ ablöste, ist dies eine Debatte über die Rolle des Islam in Europa – eine Debatte, die immer weniger mit dem Thema der Immigration zu tun hat. Vielmehr basiert sie auf der irrationalen Furcht vor einem eroberungshungrigen Islam, der auf Aktivismus, stärker werdendem Glauben und demographischem Wandel gründet.

Samir Amghar et Patrick Haenni, "Le mythe renaissant de l'islam conquérant", Le Monde diplomatique, janvier 2010. Trans. Marie Lebert. In deutscher Übersetzung von Patrick Eger.

In vierzig Jahren versiebenfachte sich die muslimische Bevölkerung der Schweiz. Diese Bevölkerungszunahme – und damit einhergehend  der Bedarf an neuen Moscheen – bewirkte eine Reaktion aus den konservativsten politischen Kreisen. Deren Bürgerinitiative (2007) forderte ein verfassungsrechtliches Verbot für den Bau von Moscheen. Während der Wahlkampagne vor der Stimmabgabe brachten Unterstützer des Verbots die Forderung nach „politischer und religiöser Kontrolle“ der Muslime. Die Gegner der Minarette nahmen auch Bezug auf den Koran, der erläutert, dass Minarett – als Bauwerke – nicht in der Heiligen Schrift vorgeschrieben sind, weshalb Muslime durchaus auch Orte der Gottesverehrung ohne Minarette haben könnten.

Quelle 3a

Die „Freunde des Islam” in Japan

Die „Freunde des Islam” in Japan: https://www.youtube.com/watch?v=kITdBV6TjNI
AFP 2014
(Zugriff am 5.1.15)

Dieses von der französischen Presseagentur (AFP) im Juli 2014 veröffentlichte Video zeigt:
- Die Bemühungen von Restaurants, muslimische Gäste zu locken und traditionelle japanische Gerichte an muslimische Speisegesetze anzupassen.
- Das Seminar in einem Hotel in Tokio, das für Tourismus- und Gastrounternehmer gedacht war.
- Einen Blick auf Tokios größte Moschee, der die Präsenz einer muslimischen Gemeinde in Japan zeigt. Die „Große Moschee“ von Tokio wurde 1938 für die Tataren errichtet, die aus Russland vor Stalin flohen [siehe Islam II, Seite 8].

Quelle 3b

Japan und muslimische Touristen

Anfang Juni [2014] fand ein eher überraschender Kongress in einem Hotel in Tokio statt: Malaysische Geschäftsmänner und japanische Spezialisten der „islamischen Sache“ referierten vor einem eifrig mitschreibenden Publikum einen ganzen Tag lang zu der Frage „Was ist halal?“
In Japan gibt es nur eine kleine muslimische Gemeinde – weniger als 100,000 der 126 Millionen Japaner – daher ist das Land diesbezüglich kein großer Absatzmarkt. Aber Japan entschloss sich, „islamfreundlich“ zu werden, um Touristen aus Südostasien, insbesondere Indonesien und Malaysia, anzulocken. Man tendiert dazu, sich auf diese finanziell starke Klientel zu konzentrieren, statt sich nur auf chinesische Touristen zu verlassen, die immer sensibel auf chinesisch-japanische politische Spannungen reagieren.
Überdies peilt man nun, nachdem man 2013 die Marke von 10 Millionen Touristen erreicht hat, für das Jahr 2020 einen Wert von 20 Millionen an… das Jahr, in dem die Olympischen Spiele in Japan gastieren. Immer mehr Restaurants beginnen, das japanische "washoku"*, welches erst kürzlich von der UNESCO geehrt wurde, für ihre muslimischen Gäste anzupassen, während Flughäfen und Hotels immer mehr Gebetsräume anbieten. Einige Hotels stellen gar einen Gebetsteppich zur Verfügung und zeigen in ihren Räumen die Richtung nach Mekka an. Neunzehn Universitäten bieten in ihren Mensas “halāl”-Gerichte an, um muslimische Studenten anzuwerben.
Ein weiteres Zeichen: Im Juni [2014] startete zum ersten Mal eine japanische Bank, die Bank of Tokyo Mitsubishi, ein islamisches Finanzprojekt in Malaysia, indem sie mit dem Koran vereinbare "sukuk"*-Anleihen für eine halbe Milliarden Dollar ausgab. […]
2013 organisierten zwanzig japanische Regionen Seminare zur Fortbildung von Hotel- und Restaurantfachkräften. Die Handelskammer von Osaka verteilte 5,000 Broschüren, die auf verbotene Lebensmittel (Schweinefleisch, Alkohol etc.) und andere Themen eingingen.
Einige Reisebüros, wie Miyako International Tourist, boten sogar „islamfreundliche Aufenthalte“ an. Im Juli 2013 hob Tokio die Einreisebedingungen für Touristen aus Malaysia und Thailand auf, das gleiche soll demnächst auch für Indonesien, das bevölkerungsreichste islamische Land der Erde, gelten.
Obviously it works: from 2012 to 2013, there was an increase of 37% for Indonesians visiting Japan and 21% for Malaysians visiting the country, according to the Tourism Office in Japan.
Die Erfolge sind offensichtlich: 2013 besuchten laut dem japanischen Amt für Tourismus im Vergleich zum Vorjahr 37% mehr Indonesier und 21% mehr Malaysier das Land Japan.
*Washoku: Japanische Spezialität aus Reis, Fisch und Nudeln.
*Sukuk: Arabisches Pluralwort, das im islamischen Finanzwesen verwendet wird, um Währungen in Einklang mit der Religion zu kennzeichnen.

AFP Tokyo 09/07/2014. Trans. Marie Lebert. In deutscher Übersetzung von Patrick Eger.

Diese Informationen der AFP wurden in der französischen Presse und sozialen Netzwerken oft zitiert und kommentiert. Tourismusexperten bevorzugten den Begriff “muslimfreundlich” anstelle von “halāl-Tourismus” als Marketingkonzept, welches auf die islamische Klientel und deren seit Beginn der 2000er steigende Kaufkraft abzielt.
Japans ausländische Gäste sind zumeist Touristen aus Malaysia, deren Zahl die der Reisenden aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und aus Indonesien übersteigt. All diese Touristen repräsentieren einen großen Freizeitmarkt, an dem Japan interessiert ist. Im Inland stellen die Muslime nur einen kleinen Teil der Bevölkerung dar: Die meisten sind ausländische Studenten und Arbeiter, nur 10% sind japanische Muslime. Auf der Suche nach muslimischen Touristen wendet sich Japan auch einer neuen Zielgruppe zu, insbesondere Touristen aus China, Südkorea und Taiwan.
Das Geschäft mit halāl-Erzeugnissen ist nicht nur auf Touristen beschränkt, es hat auch das Interesse japanischer Unternehmer aus der Food-Branche geweckt. Seit 2010 zeichnet die JHA (Japan Halāl Association) einige Produkt für den Markt in Übersee aus, so zum Beispiel halāl Reis, Sojasauce und washoku (eine Spezialität aus Reis, Fisch und Nudeln).