3. Arabisierung und Islamisierung
Auf die größten arabischen Eroberungszüge – vom Maghreb bis zum Iran – folgten Konvertierungen zum Islam und die Annahme der arabischen Sprache unter den Besiegten. Aber die Arabisierung und Islamisierung sind Prozesse, die diese Gesellschaften in verschiedenen Rhythmen verändert haben und der Verlauf dieser tiefgreifenden Veränderungen kann nicht auf ein einziges Modell herunterge-brochen werden. Dennoch können einige wichtige Entwicklungen besonders hervorgehoben werden. Im Zuge einer Arabisierung wurde nicht zwangsläufig zum Islam konvertiert und durch eine Konvertierung wurden nicht notwendigerweise regionale Bräuche aufgegeben. Obwohl sie nun “islamisiert” waren, konnten einige Völker aus dem arabisch-muslimischen Raum ihre Sprachen beibehalten, während institutionalisierte Sprachen außerhalb der Mittelmeer- und mitteleuropäischen Region generell widerstandsfähiger waren. Es gab sogar eine “Wiedergeburt” des Persischen aus dem 10. Jahrhundert, einer Vermischung der offiziellen Sprache (religiös und schriftsprachlich) des Sassanidenreichs mit vielen arabischen Lehnwörtern. Einige Religionsgemeinschaften widerstanden der Konvertierungsbewegung, so zum Beispiel die ägyptischen Kopten, die somit die erste christliche Gemeinde der arabisch-muslimischen Welt darstellen.
Kommentare des Bischofs Athanasius von Qūs
Sollten einige von ihnen [die Leser] durch großen Aufwand und Anstrengung Koptisch erlernen, so können sie doch nicht mehr als einige Sätze lesen, nicht ohne Fehler und ohne das zu verstehen, was sie aussagen; sie sprechen zu sich selbst in einer unverständlichen Sprache und werden zu Barbaren gegenüber sich selbst.
Bischof Athanasius von Qus. Zitiert von J.C. Garcin, “L’arabisation de l’Égypte”, Revue des mondes musulmans et de la Méditerranée, 1987, Nr. 43, S. 131. Ins Englische von Marie Lebert. Deutsche Übersetzung von Patrick Eger
Als Ägypten als byzantinische Provinz 641 erobert wurde, waren zwei Sprachen gebräuchlich: Grie-chisch (für administrative Zwecke) und Koptisch, die aktuellste Version der antiken ägyptischen Sprache. Die Arabisierung der koptischsprachigen Christen ging langsamer vonstatten als bei den anderen Völkern im Nahen Osten. In den Jahrhunderten nach der Eroberung Ägyptens war Arabisch nicht nur offizielle Staatssprache, sondern auch die Sprache der Kultur, Alltagssprache und sogar die Sprache der christlichen Theologie. Koptisch verschwand wohl zwischen dem 10. und Mitte des 11. Jahrhunderts von der Bildfläche. Dennoch war das 12. Jahrhundert mit der Wiedergeburt der koptisch-arabischen Literatur in arabischer Sprache aus kultureller Sicht ein “goldenes Zeitalter” für die Kopten. Dies motivierte Athanasius, einen Gelehrten aus dem 14. Jahrhundert, der in Qūs in Oberägypten lebte, eine umfassende Grammatik der koptischen Dialekte aus ganz Ägypten für ein passioniertes Publikum aus Gelehrten und Mönchen zu verfassen.
Eine koptische Kirche im alten Kairo
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(Zugriff am 5.1.15)
Die Inschrift auf der koptischen Kirche im Alten Kairo (datiert 1899) zitiert das Johannesevangelium (Johannes 4, 13 – 14) auf Koptisch, einer Kirchensprache der christlichen Ägypter, und auf Arabisch:
„Im Namen Gottes, des Barmherzigen
Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen
Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben.“
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Die Reisen des Ibn Battuta
Nach der Heirat zwang mich der Wesir, das Amt des Qādīs zu übernehmen […]. Nachdem ich das Amt angetreten hatte, tat ich mein Möglichstes, den Vorschriften des Rechts Geltung zu verschaffen. Dortzulande verläuft ein Rechtsstreit nicht so wie in unserem Lande. Das erste, was ich abschaffte, war die üble Sitte, daß geschiedene Frauen weiter im Hause des Mannes wohnen blieben, der sie verstoßen hatte. Keine dieser Frauen verließ je das Haus ihres geschiedenen Mannes, sondern erst, wenn sie einen anderen Mann heiratete. Diesen Mißstand beendete ich. Man führte mir ungefähr 25 Männer vor, die so handelten. Ich gab ihnen die Prügelstrafe, stellte sie auf den Märkten öffentlich bloß und zwang die Frauen, die Häuser ihrer geschiedenen Männer zu verlassen. Ich verschärfte die Gebetsvorschriften und befahl meinen Männern, sich sofort nach dem Freitagsgebet eilends auf die Gassen und Märkte zu begeben. Jeden, den sie entdeckten und der nicht gebetet hatte, ließ ich verprügeln und öffentlich zur Schau stellen. […] [Ich] bemühte mich auch, daß die Frauen sich vollständig bekleideten, aber dies gelang mir nicht.
Auszug aus Die Reisen des Ibn Battuta. Herausgegeben und aus dem Arabischen übersetzt von Horst Jürgen Grün, Allitera Verlag: München 2007, Bd. II, Kapitel 16 (Auf den Malediven), S. 189.
Ibn Battūta, der wohl bekannteste arabische Reisende des Mittelalters, reiste 28 Jahre lang über meh-rere Tausend Kilometer vor allem durch neu islamisiertes Gebiet. Seine autobiographischen Erzählun-gen wurden einem andalusischen Sekretär des Königlichen Gerichts von Fez (Marokko) überliefert, der sie in schriftliches Arabisch übertrug. Für seine Fahrt von Marokko nach China hatte der “Reisende des Islam” verschiedene Beweggründe: Studien, Pilgern, Drang nach Ansehen etc. Ibn Battūta begab sich im Alter von 20 Jahren auf den Weg und sah sich selbst als Religionsgelehrter, obwohl über seinen akademischen Hintergrund nichts bekannt ist. 18 Monate lang blieb er auf den Malediven, die als Doppelkranz 800 Kilometer des Ozeans südlich von Indien umspannen und ab dem 12. Jahrhundert einem Sultanat unterstanden. Durch seine Kenntnisse in akademischem Arabisch und Recht konnte sich Ibn Battūta als qādī etablieren. In einer solch hohen Position in einer neuerdings islamisierten Gesellschaft, in der kaum flüssig Arabisch gesprochen wurde, war es sein Ziel, islamische Normen einzurichten, insbesondere gegen Frauen. Diese Mission konnte er allerdings nur bedingt erfüllen.
Verfassung von Marokko
Präambel
Als ein souveräner muslimischer Staat ist es die Absicht des Königreichs Marokko, neben seiner natio-nalen Einheit und territorialer Integrität, seine eine und unteilbare nationale Identität in ihrer Fülle und Vielfalt zu bewahren. Seine Einheit, geschmiedet von der Zusammenkunft seiner arabisch-islamischen, tamazightischen und saharo-hassanischen* Komponenten, wird genährt und bereichert durch afrikanische, andalusische, hebräische und mediterrane Einflüsse. Die Vorrangstellung des Islam im nationalen Kontext geht einher mit der Bindung der marokkanischen Bevölkerung an Werte wie Offenheit, Mäßigung, Toleranz und an den Dialog des gegenseitigen Verstehens zwischen allen Kulturen und Völkergruppen der Erde..
Artikel 5
Arabisch ist die offizielle Staatssprache. Der Staat setzt sich für den Schutz und die Entwicklung der arabischen Sprache und der Förderung ihrer Verwendung ein. Ebenso stellt Tamazight [oder Ama-zigh*] eine offiziell anerkannte Staatssprache dar, da sie ein gemeinsames Patrimonium aller Marok-kaner ohne Ausnahme ist.
*Saharo-hassanisch: beschreibt die Bevölkerung Südmarokkos, die Hassanisch spricht.
*Amazigh (oder Tamazight): Sprache der Berber, die ca. 50% der Marokkaner beherrschen.
Verfassung von Marokko, gültig seit 30. Juli 2011. Ins Deutsche übersetzt von Patrick Eger.
In Marokko stellen die Berber rund die Hälfte der Bevölkerung. Um deren – seit den 1990er Jahren immer starker politisierten – Bedürfnissen gerecht zu werden, kündigte König Mohammed VI in seiner Thronrede 2001 die Erschaffung eines königlichen Instituts für die Amazigh-Kultur an. Zehn Jahre später erhielt die Amazigh-Identität durch einen inkludierenden Akt der 2011 neu aufgesetzten Verfas-sung rechtmäßigen Status. Jetzt beansprucht man aber dennoch entweder eine bessere Integration der Amazigh im kulturellen Leben und in der Regierung, oder eine stärkere Anerkennung der Berbergemeinde gegenüber den Arabern. Die Problematik erstreckt sich über Marokko hinaus bis nach Algerien, Libyen, Mali und den Niger. Auch international fand das Thema aufgrund des Kontextes der Menschenrechtsdiskussion Beachtung.