1.Die Entstehung des Christentums
Wie konnte aus einer jungen spirituellen Bewegung, die inmitten anderer jüdischer Strömungen entstand, eine Reihe von Gemeinschaften hervorgehen, die eine spezifische Religion – das Christentum – als die ihrige auswiesen? Was unterschied diese religiöse Gruppierung von anderen Juden und von Heiden? Im Nachfolgenden wird der Terminus „Heiden“ in Bezug auf nichtjüdische und nichtchristliche Menschen verwendet. Er wurde ab dem 3. Jahrhundert von Christen abwertend auf all jene Menschen angewandt, die der christlichen Botschaft ablehnend gegenüber standen. .
Flavius Josephus, Antiquities of the Jews, 18.3.3 §63.
Flavius Josephus wurde 37 n. Chr. als Sohn einer priesterlichen Familie in Jerusalem geboren und starb um 100 n. Chr. in Rom. Er führte die jüdischen Streitkräfte in Galiläa während des Ersten Jü-disch-Römischen Krieges an, die sich um 67 n. Chr. dem römischen Feldherrn Vespasian geschlagen gaben. Nachdem Vespasian im Jahr 69 zum Kaiser ernannt wurde, berief er Josephus zu seinem Dien-ste. Daraufhin begann dieser seine literarische Arbeit als Geschichtsschreiber in griechischer Sprache: Unter anderem verfasste er die Geschichte des Jüdischen Krieges (75-79 n. Chr.) und die Jüdischen Altertümer (93 n. Chr.). Seine Werke wurden von der christlichen Tradition überliefert.
Die meisten antiken Schriften liegen uns aber nur als Abschriften vor, die in Schreibstätten christlicher Klöster angefertigt wurden. Diese durchliefen einen Auswahlprozess, der auch zur Nichtbeachtung oder Vernichtung jener Schriftstücke führte, die als mehr oder weniger wertlos galten oder von der Kirche verurteilt wurden. Manchmal nahmen die Kopisten Einfluss, indem sie beispielsweise ungelege-ne Passagen entfernten oder editierten, oder zusätzliche Informationen bzw. Kommentare einfügten. Dies trifft auch auf den vorliegenden Ausschnitt des jüdischen Historikers Josephus zu. Jemand, der wie Josephus selbst kein Anhänger Jesu war, hätte nicht glaubhaft versichern können, dass Jesus der Messias sei; Fragen nach der Herkunft Jesu tauchen erst später auf. Simon C. Mimouni hält die vorlie-gende Passage dennoch für authentisch, allerdings kennzeichnet er christliche Ergänzungen mit ecki-gen Klammern.
Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er war nämlich der Vollbringer ganz unglaublicher Taten und der Lehrer aller Menschen, die mit Freuden die Wahrheit aufnahmen. So zog er viele Juden und auch viele Heiden an sich. Er war der Christus. Und obgleich ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Denn er erschien ihnen am dritten Tag wieder lebend, wie gottgesandte Propheten dies und tausend andere wunderbare Dinge von ihm vorherverkündigt hatten. Und noch bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm nennen, fort.
Des Flavius Josephus Jüdische Altertümer, 18.3.3 §63. Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Dr. Heinrich Clementz. II. Bd. Köln 1959 (Nachdruck der Ausgabe von 1899), 515f.
Tacitus, Annalen
Tacitus wurde um 58 n. Chr. in eine Familie geboren, die dem Ritterstand angehörte, und starb um 120. Über sein Leben ist relativ wenig bekannt. Unter der Herrschaft Vespasians (69 – 79) schaffte er um das Jahr 75 den Sprung in den Senat. Dort begann er seine Karriere, welche ihm schließlich von 112 bis 114 die Statthalterschaft in der Provinz Asien einbrachte. Er ist der Verfasser einiger bekannter Werke, so z.B. des Dialogus de oratoribus, der Historien und der Annalen (110 n. Chr.).
Tacitus berichtet über den Brand Roms:) Doch weder durch menschliche Hilfe, weder durch kaiserli-che Spendungen, noch durch Sühnungen der Götter ließ sich der Schimpf bannen, daß man glaubte, es sei die Feuersbrunst geboten worden. Um daher dies Gerede zu vernichten, gab Nero denen, die, durch Schandtaten verhaßt, das Volk Christen nannte, die Schuld und belegte sie mit den ausgesuchtesten Strafen. Der, von welchem dieser Name ausgegangen, Christus, war, als Tiberius regierte, vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden, und der für den Augenblick unterdrückte verderbliche Aberglaube brach nicht nur in Judäa, dem Vaterlande dieses Unwesens, sondern auch in Rom […].
Cornelius Tacitus, Werke: Annalen, 2. Bd. (= Deutsche Hand- und Hausbibliothek 123), 15,44. Mit einer Einleitung und nach der Übersetzung von Wilhelm Bötticher. Stuttgart 1873, 156.
Paulus, Brief an die Galater
Paulus (ca. 5 n. Chr. – 67 n. Chr.) war ein hellenistischer Jude aus Tarsus in Kleinasien, der vor sei-nem Beitritt in die Jüngerschaft Jesu Saul hieß. Als frommer Jude nahm er vor seinem Offenbarungs-erlebnis und seiner Konvertierung an Verfolgungen gegen die Jünger Jesu teil. Danach unternahm er allerdings viele Reisen, um Jesu Botschaft vor allem den Nichtjuden zu verkünden. Seine Episteln (Briefe) an die ersten christlichen Gemeinden gehören zu den frühesten überlieferten Dokumenten des Christentums.
Im Gegenteil, sie sahen, dass mir das Evangelium für die Unbeschnittenen anvertraut ist wie dem Petrus für die Beschnittenen - (7)
8 denn Gott, der Petrus die Kraft zum Aposteldienst unter den Beschnittenen gegeben hat, gab sie mir zum Dienst unter den Heiden -
9 und sie erkannten die Gnade, die mir verliehen ist. Deshalb gaben Jakobus, Kephas und Johannes, die als die «Säulen» Ansehen genießen, mir und Barnabas die Hand zum Zeichen der Gemeinschaft: Wir sollten zu den Heiden gehen, sie zu den Beschnittenen.
10 Nur sollten wir an ihre Armen denken; und das zu tun, habe ich mich eifrig bemüht.
11 Als Kephas aber nach Antiochia gekommen war, bin ich ihm offen entgegengetreten, weil er sich ins Unrecht gesetzt hatte.
12 Bevor nämlich Leute aus dem Kreis um Jakobus eintrafen, pflegte er zusammen mit den Heiden zu essen. Nach ihrer Ankunft aber zog er sich von den Heiden zurück und trennte sich von ihnen, weil er die Beschnittenen fürchtete.
[…]
14 Als ich aber sah, dass sie von der Wahrheit des Evangeliums abwichen, sagte ich zu Kephas in Gegenwart aller: Wenn du als Jude nach Art der Heiden und nicht nach Art der Juden lebst, wie kannst du dann die Heiden zwingen, wie Juden zu leben?
15 Wir sind zwar von Geburt Juden und nicht Sünder wie die Heiden.
16 Weil wir aber erkannt haben, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, son-dern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glau-ben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht.
Brief des Paulus an die Galater, 2, 7 – 16.
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Didache
Die Didache („Die Lehre des Herrn durch die zwölf Apostel für die Heiden“) ist eine frühe christliche Abhandlung, deren Ursprung gemeinhin im westlichen Syrien des 1. Jahrhunderts nach Christus verortet wird. Sie ist somit genauso alt wie die neutestamentlichen Evangelien. Sie ergänzt diese durch Anweisungen, die z. B. rituelle Handlungen, die Taufe und das Abendmahl betreffen. Die sechs Kapi-tel, die vor dem vorliegenden Ausschnitt stehen, beinhalten die sog. Zwei-Wege-Lehre: Zwei Weisen zu leben, ethisch angemessen („Weg des Lebens“) oder unmoralisch („Weg des Todes“), werden einander gegenübergestellt. In den Handlungsanweisungen sind jüdische Einflüsse weiterhin erkennbar, z. B. im dreimaligen täglichen Gebet. Das Wort „Heuchler“ im Text bezieht sich nicht auf die Juden im Allgemeinen; vielmehr bezieht sich der Autor damit auf die Abtrünnigen innerhalb der Gemeinde. Der Text beleuchtet nicht nur religiöse Handlungen und Rituale und die Art und Weise ihres Vollzugs, sondern gibt damit auch Einblick in eine bestehende Vielfalt, die sich eben auch auf der rituellen Ebene zeigt.
VII- Bezüglich der Taufe haltet es so: Wenn ihr all das Vorhergehende gesagt habt, "taufet auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" in fließendem Wasser. Wenn du aber kein fließendes Wasser hast, dann taufe in einem anderen Wasser; wenn du es nicht in kaltem tun kannst, tue es im warmen. Wenn du beides nicht hast, gieße dreimal Wasser auf den Kopf "auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes". Vor der Taufe soll fasten der Taufende, der Täufling und wer sonst kann; den Täufling lasse ein oder zwei Tage zuvor fasten.
VIII- "Bei eurem Fasten haltet es aber nicht mit den Heuchlern"; diese fasten nämlich am zweiten und fünften Tage nach dem Sabbat (d. h. am Montag und Donnerstag); ihr aber sollt fasten am vierten Tage und am Rüsttage (d. h. am Mittwoch und Freitag). Auch "sollt ihr nicht beten wie die Heuchler", sondern wie der Herr in seinem Evangelium es befohlen hat, "so betet: Vater unser, der Du bist in dem Himmel, geheiligt werde Dein Name, zukomme uns Dein Reich, Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden; unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Übel"; weil Dein ist die Macht und die Ehre in Ewigkeit. Dreimal im Tag betet so.
IX- Bezüglich der Eucharistie haltet es so: Zunächst in betreff des Kelches: Wir danken Dir, unser Vater, für den heiligen Weinstock Davids, Deines Knechtes, den Du uns zu erkennen gabst durch Jesus, Deinen Knecht; Dir sei die Ehre in Ewigkeit. Und in betreff des gebrochenen Brotes: Wir danken Dir, unser Vater, für das Leben und die Erkenntnis, die Du uns zu erkennen gabst durch Jesus, Deinen Knecht; Dir sei die Ehre in Ewigkeit. Wie dieses gebrochene Brot auf den Bergen zerstreut war und zusammengebracht eins wurde, so möge Deine Gemeinde von den Enden der Erde zusammengebracht werden in Dein Reich; weil Dein ist die Ehre und die Macht durch Jesus Christus in Ewigkeit. Aber keiner darf essen oder trinken von eurer Eucharistie, außer die auf den Namen des Herrn getauft sind. Denn auch hierüber hat der Herr gesagt: "ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben".
Didache, 7 – 9. Die Apostolischen Väter. Aus dem Griechischen übersetzt von Franz Zeller. (Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 35) München 1918. Online abrufbar unter URL: http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1-7.htm (14.04.2015).