1. Maria/Maryam in der islamischen Tradition
In der monotheistischen Tradition des Christentums wie auch des Islams nimmt Maria, die Mutter Jesu, einen wichtigen Platz ein. In der muslimischen Tradition sind der Name Maria sowie die Variationen Maryam, Myriam, Meryem und Mariamou häufige Mädchenname. Maryam ist eine außerordentliche Figur im Koran: Sie ist die einzige Frau, die darin Erwähnung findet und das 34 Mal. Die nach ihr benannte Sure 19 widmet ihr sogar eine ganze Geschichte. Für Muslime ist Maryam ein „Zeichen“ (Aya) Gottes, d.h. ein „Wunder“, ein Ausdruck des Willens und der Macht Gottes, der sie für die Geburt des Propheten Jesu auserwählte. Die Figur der Maria/Maryam, der Mutter Jesu, ist eine Schnittstelle zwischen dem Christentum und dem Islam. Dabei sind bestimmte Gemeinsamkeiten in den Erzählungen des Korans und in den apokryphen Schriften der Bibel besonders zu betonen [vgl. Modul Christentum II, Seite 2]. Die Verehrung Marias ist in beiden Traditionen weit verbreitet. So verwundert es nicht, dass das „Haus“ der Maria (Meryem Ana) nähe Ephesus in der Türkei, 1896 von der katholischen Kirche „entdeckt“ und für echt befunden, auch für Muslime ein Ort für Gebete und Votivgaben ist.
Quran 19, 22-26
So empfing sie ihn und zog sich mit ihm zu einem fernen Ort zurück. Die Wehen ließen sie zum Palmenstamm gehen. Sie sagte: „O wäre ich doch zuvor gestorben und ganz und gar in Vergessenheit geraten!“ Da rief er ihr von unten her zu: „Sei nicht traurig; dein Herr hat ja unter dir ein Bächlein geschaffen. Und schüttle zu dir den Palmenstamm, so läßt er frische, reife Datteln auf dich herabfallen. So iß und trink und sei frohen Mutes. Und wenn du nun jemanden von den Menschen sehen solltest, dann sag: Ich habe dem Allerbarmer Fasten gelobt, so werde ich heute mit keinem Menschenwesen sprechen.“
Quran 19, 22 – 26. Übersetzt von: Abdullah As-Samit (F. Bubenheim) und Nadeem Elyas. Empfohlene Quellenangabe: Mit Allahs Hilfe ist diese Auflage des Qur'an mit der Übersetzung seiner Bedeutungen vom König-Fahd-Komplex zum Druck vom Qur'an in al-Madina al-Munauwara unter Aufsicht des Ministeriums für Islamische Angelegenheiten, Stiftungen, Da-Wa und Rechtweisung im Königreich Saudi-Arabien herausgegeben worden. 1424 n.H./2003 n.Chr. (2. Auflage). Online abrufbar unter URL: www.islam.de (23.04.2015). .
http://en.wikisource.org/wiki/Quran...
(19/12/2014)
Sure 19 mit dem Titel „Maryam“ erzählt die Geschichte von Marias Verkündung einer wundersamen Geburt durch einen „perfekten Menschen“. Wer war dieser Mensch? In verschiedenen Auslegungen des Textes wird die Figur als Gabriel interpretiert, der Botschafter par excellence, der auch Mohammed die Offenbarung überbrachte. Um die Jungfrau nicht zu erschrecken, erschien ihr der Engel als Mensch. Maryam schämte sich für ihre Schwangerschaft und lief gedemütigt davon, um sich vor ihrer Familie zu verstecken. Der folgende Auszug berichtet über die wundersame Geburt Jesu in der Nähe einer Palme. Die muslimische Vorstellung umfasst Bilder der Wiege des Islams sowie die arabische Halbinsel mit ihrer von zahlreichen Oasen durchzogenen weiten Wüste. Das kostbare Wasser ist in der Wüste Quell des Lebens. Es erfrischt und reinigt. Die Palme symbolisiert das Wandern sowie die Nahrung und den Trost, den Reisende in der Oase finden. Bereits in den großen Kulturen der Antike, von Rom bis Persien, kam der Dattelpalme symbolische Bedeutung zu. Als Zeichen für die Verheißung der Auferstehung, der göttlichen Gnade und des Paradises ist sie im Islam auch zusätzlich der wichtigste Baum. Daher spielen Datteln in vielen Riten wie etwa im Fastenbrechen, der Begrüßung eines neugeborenen Kindes in der Welt, bei der Hochzeit und in der Trauer eine wichtige Rolle.
Mariam (Maria) und Isa (Jesus)
Aus ästhetischer Sicht zeichnet sich das Bild durch das Fehlen räumlicher Tiefe aus. Ohne Schattenwurf und Perspektive wird die Szenerie auf wenige symbolische Elemente reduziert: die lichtdurchflutete, gebirgige Wüste. Lediglich zwei Punkte erscheinen farbenfroh und lebendig: Im Kontrast zur weißlichen und trockenen Erscheinung der Wüste dominiert eine früchtetragende Palme die Szene und darunter befindet sich ein schimmernder Brunnen umgeben von ein paar Steinen. Die spärliche Vegetation umrahmt die beiden Figuren wie ein Blumenstrauß. Maria und das Kind haben keine Gesichtszüge, an denen der Betrachter sie erkennen könnte. Im Mittelpunkt der Darstellung steht vielmehr die Haltung der ehrhaften und beschützenden Mutter, deren Gesicht Jesus leicht zugeneigt ist. Das Neugeborene trägt Kleidung und seine linke, dem Himmel entgegen gestreckte Hand scheint bereits seinen prophetischen Auftrag anzudeuten und auf seine Existenz als „Wort Gottes“ hinzuweisen. Im Hintergrund befindet sich eine dritte Figur, der für persische Miniaturgemälde typische unbeteiligte Betrachter.
Persian illumination
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(19/12/2014)
Die Diskurse von Rumi
Alle unsere Handlungen werden vom Schmerz bestimmt. Ohne innerlichen Schmerz, eine aufkommende Leidenschaft und Verlangen, streben wir die Erlangung einer Sache niemals an […]. So veranlassten erst die Wehen Maria dazu, sich zum Baum aufzumachen. Die Wehen trieben sie zum Baum und der verwelkte Baum trug Früchte. Auch wir selbst sind vergleichbar mit der Erzählung von Maria im Koran. Jeder einzelne von uns trägt einen Jesus in sich, der aber nicht ohne Schmerzen geboren werden kann. Treten die Schmerzen niemals ein, so schließt sich das Kind, das wir in uns tragen, auf geheimnisvollem Weg wieder seinem Ursprung an und lässt uns leer zurück. Schlagwörter: Lyrik – muslimischer Autor – Maria – Islam und andere Religionen
Die Diskurse des Rumi, übersetzt von A. J. Arberry. Ins Deutsche übersetzt von Kerstin Bachmeier.
Dschala ad-Din ar-Rumi war ein Dichter des 13. Jahrhunderts. Er lebte in Konya, Anatolien (der heutigen Türkei) im Sultanat der Seldschuken, wo er einen Sufi-Orden gründete. Das Buch Über das Sein und nicht Sein umfasst viele seiner Reden, die nach seinem Tod gesammelt wurden. Es beinhaltet Anekdoten, Allegorien und Ratschläge für eine spirituelle Reise und war für seine Schüler und Anhänger gedacht. Das „Sein“ im Titel bedeutet dabei Innerlichkeit. Rumi studierte islamische Wissenschaften. Über das Sein und das nicht Sein enthält viele Bezüge zu den Hadithen und zum Koran. Der Ausschnitt hier stammt von Vers 19, 23, in dem „die Geburtswehen sie an den Stamm einer Dattelpalme zwangen“. Der von Rumi genannte Vers des Korans wird in Quelle 1 veranschaulicht. Nach der schmerzvollen Erfahrung der Verbannung und der Trennung von ihrer Familie wird die hungernde Maryam durch die Dattelpalme und ihre Früchte gerettet, die ihr als Nahrung dienen. Die göttliche Gabe der Dattelpalme ist eine Belohnung für die bei der physischen und spirituellen Geburt erlittenen Schmerzen. Die Geburt ist stets eine schmerzvolle Trennung, ohne die der Mensch nicht zu Wissen und wahrer Freude gelangt. In der mystischen Reise von Maryam liegt ihr Schicksal begründet, welches seinen Anfang im Akt der Unterwerfung unter den Willen Gottes nimmt, der die Trennung von ihrer Familie und erfahrenes Leid folgen.